Zum Buch:
Es ist gar nicht so leicht, kurz zusammenzufassen, worum es in Kartographie geht. Wir folgen der Protagonist*in durch das Buenos Aires der späten 2010er Jahre, auf Streifzügen durch die Stadt, durch die eigenen Gedanken, auf der Suche nach Orientierung und einem eigenen Weg. Bei den Streifzügen kommen Gedanken auf zu unserem Bezug zum Raum, der uns umgibt: Wie schreiben sich die täglichen Bewegungen in unser Leben ein? Woher kommen unsere Beziehungen zu bestimmten Orten? Was würde man sehen, wenn man mit einem wirklich scharfen Schwert die nächste Fassade sauber abschälen und in die Wohnungen dahinter schauen könnte? Für alle, die diese kleine Disziplin zwischen Geographie und Soziologie kennen: Es ist sehr humangeographisch! Diese geographischen Beobachtungen und Gedanken sind aber nur der Rahmen, in dem sich die Suche nach dem eigenen Weg der Protagonist*in entwickelt, zwischen Liebeskummer, queerer Identität, Freundschaft, Sex, steigenden Mieten und sozialen Protesten gegen die neoliberale Regierung in Argentinien.
Die erste Hälfte von Kartographie springt nahtlos von einem Thema zum nächsten, wie ein Gespräch zwischen Freund*innen. Themen werden gestreift und wieder fallen gelassen, es geht mal um Transhumanismus, Cyborgs, Älterwerden oder alte Stadtkarten von Tokyo und London. Das wird gewürzt mit vielen popkulturellen Referenzen und Bezügen zu linken Denker*innen und macht großen Spaß zu lesen! Aus der Beobachtung der Stadt wird in der zweiten Hälfte immer mehr die Selbstbeobachtungen der Protagonist*in. Aus der Orientierungslosigkeit in der neuen Stadt wird die eigene Orientierungslosigkeit. Hier geht die Graphic Novel in Richtung Coming of Age und folgt eher einer fortlaufenden Geschichte, thematisiert vor allem aber die Bedeutung von Freundschaft und gegenseitiger Fürsorge.
Kartographie ist beeindruckend vielfältig gezeichnet: klassische Panels wechseln sich ab mit Collagen, Panoramen und verfremdeten Fotos. Dabei ist alles geprägt vom leuchtenden Blau und Orange der Sonderfarben. Die Zeichenstile wechseln sich ab und sind von mal mehr, mal weniger Text begleitet. Das Druckverfahren der Risographie sorgt für eine schöne DIY-Ästhetik, die an Zines erinnert. Kartographie ist eine ebenso vielschichtige wie persönliche Erkundung des urbanen Raums und des vielleicht wichtigsten Ankers darin – unsere Beziehungen.
Henryk Joost, Frankfurt a. M.