Zum Buch:
Im Verlauf des letzten Jahrtausends hat eine Folge entsetzlicher Katastrophen den Kontinent Europa heimgesucht und dessen Geschichte, dessen Gesicht unweigerlich verändert. Allem voran Kriege, entsetzliche Kriege, die in ihrer eigenen Urgewalt über den Kontinent hinwegzogen und in deren Gefolge stets Hungersnöte und darauffolgende Seuchen einhergingen.
Doch Seuchen und Hungersnöte traten auch unabhängig von kriegerischen Auseinandersetzungen auf, wie beispielsweise die Pest, die Mitte des 14. Jahrhunderts grassierte und innerhalb nur eines Jahrzehnts rund 25 Millionen Menschen dahinraffte. Eine in ihrem Ausmaß bisher nie dagewesene Pandemie, für die man rasch einen Schuldigen fand – die jüdische Bevölkerung –, deren tatsächliche Ursache jedoch erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts entdeckt wurde.
Das sogenannte Jahr ohne Sommer ist ein weiteres Beispiel für eine Katastrophe ungeheuren Ausmaßes, die alle Teile der Gesellschaft in Mitleidenschaft zog. Nachdem sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts das Weltklima signifikant zu verändern begonnen hatte, die Winter bereits länger, die Sommer kälter und feuchter geworden waren, läutete 1815 der Vulkanausbruch des Tambora das Jahr ohne Sommer ein, in dem besonders in Europa zig Millionen Menschen unter einer furchtbaren Hungerkatastrophe aufgrund ausbleibender Ernten litten.
Und schließlich sind da jene zwei weltumspannenden Kriege zu nennen, die allein aufgrund politischen und strategischen Kalküls geführt wurden, an Brutalität infolge neu erfundener Waffen alle vorherigen Kriege in den Schatten stellten und im Verlauf nur eines Jahrhunderts die Landschaft Mitteleuropas grausam verheerten. Auch hier waren die „nötigen“ Schuldigen allzu rasch gefunden.
Diese und andere Wendemarken der Menschheitsgeschichte, insbesondere im Hinblick auf eine europäische Erinnerungskultur, stehen in einem größeren historischen Zusammenhang, zumal sich Geschichte erfahrungsgemäß ständig wiederholt.
Der anerkannte Historiker Hartmut Lehmann blickt in seinem äußerst lehrreichen Buch Apokalypsen zunächst auf eben jene vergangenen Katastrophen zurück und zeigt auf, wie die damaligen Menschen damit umzugehen verstanden – bevor er sich die Frage stellt, ob wir, die Menschen des Anthropozäns, die sich mit ganz ähnlichen Bedrohungen konfrontiert sehen, aus der Vergangenheit überhaupt gelernt haben und ob wir bereit sind, aktuelle wie zukünftige Krisen zu meistern – ohne uns vorab in Schuldzuweisungen zu verstricken.
Axel Vits, Köln