Belletristik

Drucken

Buchempfehlung Belletristik

Autor
Stamm, Peter

An einem Tag wie diesem

Untertitel
Roman
Beschreibung

Knapp, mit hintersinnigem Realismus, das Wesentlich durch Aussparung deutlich machend, behandelt Peter Stamm unser Leben, unsere Sehnsüchte, unsere „Beziehungskisten“. “Stamm hat das Porträt eines Lebensvermeiders geschrieben, mit dessen Lektüre man sich das eigene Leben kurzfristig vom Hals halten kann. Doch man mache sich nichts vor: “An einem Tag wie diesem” ist ein leicht zu lesender, doch schwer zu verkraftender Roman. Man sollte ihn lesen.” FAZ

Verlag
S.Fischer Verlag, 2006
Format
Gebunden
Seiten
208 Seiten
ISBN/EAN
978-3-10-075125-6
Preis
17,90 EUR

Zum Buch:

Felix Schneider, Frankfurt am Main und Basel

„Ich bin da gar nicht selbst draufgekommen, das hat mal eine Kritikerin gesagt: dass bei mir die Leute immer ein zu Hause suchen. Ich glaube, es ist immer dieses Spannungsfeld zwischen Weggehen und nach Hause kommen. Dann sind es oft Identitätsfragen, die mich beschäftigen, also der Gegensatz zwischen Realität und Fiktion, oder Realität und Bild. Egal, was ich mir vornehme, am Schluss kommt’s immer wieder auf diese Themen zurück. Und was den Stil betrifft: Urs Widmer hat einmal gesagt, es gibt die Autoren, die kommen von der Sprache her, und es gibt die Autoren, die kommen von der Welt her. Ich glaube, ich gehöre zu denen, die von der Welt herkommen.“ Peter Stamm, wenn er Prosa schreibt, kommt von der Welt her, von unserer Welt. Knapp, mit hintersinnigem Realismus, das Wesentlich durch Aussparung deutlich machend, behandelt er unser Leben, unsere Sehnsüchte, unsere „Beziehungskisten“. Und der heute 43jährige Peter Stamm schreibt im Grunde immer dasselbe Buch fort. Seit seinem fulminanten Debutroman „Agnes“ (1998), über „Ungefähre Landschaft“ und zwei Erzählbände („Blitzeis“, „In fremden Gärten“) bis zum neuen Roman „An einem Tag wie diesem“ zeigt er die Glückssucher, die eines Tages aus ihrem Alltag ausbrechen, auf Reisen gehen, manchmal wieder zurückkommen. Gerne spiegelt er das Geschehen durch den Einbau von Literatur in seine Erzählung. Diesmal, im Roman „An einem Tag wie diesem“, heisst der Protagonist Andreas. Er führt ein Leben, um das ihn sicher viele Männer beneiden. Er hat es von seinem heimatlichen Schweizer Dorf bis nach Paris gebracht, wo er als Lehrer lebt: Ein attraktiver, 40jähriger Junggeselle, der sich die Frauen aussuchen kann – was er auch tut. Gelegentlich wird er sentimental, wenn er an eine unerfüllte Jugendliebe denkt, hauptsächlich aber lebt er flott, zerstreut und trendig von Tag und Tag. Da hat Stamm ein Zeitgefühl getroffen: Das leichte, unbeschwerte Leben in ziemlichem Wohlstand, bei ziemlich freier Liebe – und doch, und doch, da fehlt etwas: ein Ziel, eine Bewegung, ein Sinn. Mit der midlife crises des Protagonisten kommt Bewegung in das fast paradiesische Bild vom easy-going-Leben. Da taucht eine neue, faszinierende Frau auf, reifer, erwachsener als Andreas. Da gerät Andreas, Kettenraucher wie der Autor selbst, unter Krebsverdacht. Da kommt noch eine berufliche Krise dazu und die Nachricht, dass das Grab seiner Eltern aufgelassen wird. All das löst bei Andreas den Fluchtreflex aus. Er flieht aus dem Wartezimmer des Arztes, bevor ihm der noch den definitiven Befund überreichen kann. Er verlässt Paris, den Beruf, seine Geliebten, und reist mit der neuen Frau, der wunderbar selbstsicheren Delphine, in die Schweiz. Was er sucht, lässt Stamm bewusst in der Schwebe: vielleicht ein neues Leben, vielleicht den Tod. Jedenfalls wird es nun in den Abgründen zwischen den nach wie vor ganz einfachen Sätzen von Peter Stamm ganz schnell kompliziert. Auf der Reise zu sich selbst konfrontiert sich Andreas mit seiner Vergangenheit, seinem Dorf, seiner Jugendliebe. Stamm schildert subtil, was dabei passiert. Sein Dorf ist nicht mehr sein Dorf, die Wirklichkeit hat sich massiv verändert. Aber auch die Bilder, die Andreas von seiner Vergangenheit im Kopf hat, haben sich zum Teil verändert, zum Teil allerdings nicht. Und gerade da, wo die Bilder im Kopf erstarrt sind, behindern sie das Leben. Seine ewige Sehnsucht nach der idealisierten Jugendliebe hindert ihn daran, lebendige Beziehungen einzugehen. Ganz unangestrengt führt Stamm verschiedene Formen der Erinnerung vor: Projektionen, Illusionen, Verdrängungen, Wiederaneignungen. Und fast nebenbei hält er die Beziehung zwischen Andreas und Delphine lebendig, bis es sogar zu einem halben happyend kommt. Auffallend ist, wie energisch sich die Figuren alles Imaginäre ausmalen. Andreas etwa erlebt in allen Details sein eigenes Begräbnis. Das haben frühere Stamm-Figuren nicht so intensiv betrieben. Die Phantasie ist wichtiger geworden. Zusammenhängen mag das mit der Tatsache, dass Stamm Vater geworden ist und die kindliche Phantasie täglich erleben kann.

Felix Schneider, Frankfurt am Main und Basel