Zum Buch:
Der zehnjährige Hans lebt Anfang der Sechzigerjahre mit seinen Eltern in einem Land, aus dem die Hoffnung verschwunden ist und das von Tausenden Menschen verlassen wird. Kurz vor dem Weihnachtsfest sagen seine Eltern ihm, dass auch sie gehen werden – aber nicht nach außen, sondern nach innen. Sie werden auf die unbewohnte Insel inmitten des Sees fahren und dort leben. Allein, weg von den Nachbarn, raus aus der Stadt. Hans hat es geahnt, seit er nachts ein Gespräch der Eltern belauscht hat, in dem Vater sagte, er könne nicht mehr.
Nun haben sie alles hinter sich gelassen. Der Vater die harte, ungeliebte Arbeit, Hans das muffige Mietshaus mit den unangenehmen Nachbarn, die Schule und vor allem Manne, den massigen, prügelnden Jungen, vor dem er Angst hat. Aber er muss auch Kalle verlassen, seinen einzigen Freund. Auf der Insel gewöhnt er sich schnell an das harte Leben, die Kälte, das ewig gleiche Essen. Er hilft dem wortkargen Vater mit den Schafen, die der spurlos verschwundene Schäfer zurückgelassen hat. Dessen Hund wird ihm zum Freund. Mit ihm zusammen durchstreift er die Insel, die seine Traumwelt wird, in der er sich zum ersten Mal im Leben sicher und frei fühlt – ein Inselkönig.
Dann bringt der Schiffer, der in Abständen die nötigen Lebensmittel auf die Insel schafft, einen Brief aus der Stadt und Hans muss wieder zurück in die Schule. Zweimal am Tag rudert er anderthalb Stunden mit dem Kahn zu dem ungeliebten Ort und den verständnislosen Lehrern. Dort wartet auch Manne auf ihn, der ihn eines Tages wieder zusammenschlägt. Nun bleibt Hans auf der Insel und versteckt sich tagsüber zusammen mit seinem Hund – bis er geholt und auf die „Burg“, in die „Besserungsanstalt“ gebracht wird …
Der Inselmann ist die radikale Beschreibung einer schrittweisen Vernichtung. War der Junge anfänglich, als er in seinem jugendlichen Narzissmus ungebunden auf der Insel umherzog, noch „Hans, der Gewaltige“ oder „Hans, der Starke“ wird er im Laufe der Handlung zu „Hans, der Verlorene“, zu „Hans, das arme Schwein“. Aber anders als bei Seethalers Held aus Ein ganzes Leben, dem – trotz aller Härte seines Daseins – ein unzerstörbarer Kern innewohnt, wird in Hans nach und nach durch die unbarmherzigen Institutionen des Staates alles abgetötet, bevor es sich überhaupt entfalten kann – bis am Ende Leere bleibt. Um ihn und in ihm.
Was das Buch trotz aller Erbarmungslosigkeit zu einer berührenden, ungemein faszinierenden Lektüre macht, ist die Sprache. Dirk Gieselmann hat einen ganz eigenen Ton für seinen Text gefunden. Die Sätze sind knapp und klar, voller berückender Bilder und Stimmungen, nüchtern und poetisch zugleich und hallen lange in einem nach. Ein ungewöhnliches, unbedingt lesenswertes Buch!
Ruth Roebke, Frankfurt a. M.