Zum Buch:
Der Schweizer Fabrikerbe Preising, auf Geschäftsreise in Tunesien, wird von einem Geschäftsfreund in einem Luxushotel in einer Oase untergebracht. Hier trifft er auf eine ausgesprochen fröhliche Gesellschaft junger Banker aus England und anderswo, die dort ein so üppiges wie erlesenes Hochzeitsfest feiert. Am Morgen nach dem Fest dann die Schreckensnachricht: Das englische Pfund ist nichts mehr wert, England bankrott, die Wirtschaft weltweit in der Krise. Was passiert in einer Situation, in der ein frischgebackenes Ehepaar feststellen muss, dass die Kosten der Hochzeit den Wert ihres Hauses plötzlich um ein Vielfaches übersteigen? Was geschieht mit der globalisierten Bankerkaste, wenn sie per SMS die Kündigung erhält, just bevor das Handynetz zusammenbricht, und alle Kreditkarten gesperrt sind? „Frühling der Barbaren“ gibt eine der möglichen Antworten – und wie sich denken lässt, keine angenehme.
Der Schweizer Autor Jonas Lüscher hat ein ungewöhnliches Debut vorgelegt. Mit großer Kunstfertigkeit baut er eine Spannung auf, die nicht zuletzt aus dem Verhältnis zwischen der Sprache, deren Duktus und Tonfall die Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts evoziert, und dem scheinbar völlig anderen Lebensgefühl zu Beginn des 21. Jahrhundert entsteht. Der Protagonist Preising – humanistisch gebildet, nachdenklich, klug und gelegentlich einfühlsam beobachtend – berichtet in einer Haltung staunenden Befremdens von der hektischen Fröhlichkeit reicher junger Leute, die sich noch in der Wüste der Begegnung mit dem Fremden und Aufregenden entziehen und statt dessen in einer Pseudowelt verharren, einer Art luxuriös ausgestatteten, immer gleichen Blase, in der sie den immer gleichen Vergnügungen frönen: Sex, Saufen, Sport. Im Fortgang der Novelle erweist sich allerdings, dass Preising und die anderen Figuren aus seiner Generation – die aus ganz anderen Verhältnissen kommenden Eltern des Brautpaares – dem Verhalten, dem sie da so staunend, skeptisch und teils ablehnend, teils bewundernd zusehen, nichts entgegen setzen können. Und so ist es schließlich der Leser, der mit staunendem Befremden auf die Unfähigkeit des Erzählers blickt, seine Erkenntnisse in irgendeine Form des Handelns umzusetzen.
„Frühling der Barbaren“ ist ein sehr lesenswertes Buch. Der Autor nutzt die strenge Form der Novelle meisterhaft dazu, auf wenigen Seiten eine Fülle erhellender kleiner Episoden zu skizzieren, aus denen im Kopf des Lesers wie von selbst ein großes, farbenprächtiges Gemälde entsteht.
Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main