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Trümmerfrauen. Ein Heimatroman

Autor
Koschmieder, Christine

Trümmerfrauen. Ein Heimatroman

Untertitel
Roman
Beschreibung

Trümmerfrauen ist ebenso sehr ein Heimatroman wie ein Generationenportrait: und zwar beides auf eine geradezu provozierend unkonventionelle Weise. Die Charaktere sind schräg und erscheinen oft lächerlich, aber auf eine durchaus bedrohliche Art. Thematisch kreist der Roman um ein Erntedankfest, das zum Aushandlungsort von Faschismus, Antifaschismus und Neofaschismus wird. Christine Koschmieder erzählt deutsche Geschichte und Gegenwart in einer Weise, die das Politische des Alltags ins Zentrum rückt.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Edition Nautilus, 2020
Seiten
304
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-96054-220-9
Preis
22,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Christine Koschmieder, geboren 1972 in Heidelberg, lebt und arbeitet seit 1992 in Leipzig. Studium der Theater-, Medien- und Kommunikationswissenschaft. Zehn Jahre Off-Theater. Fundraiserin, Übersetzerin und Gründerin der Literaturagentur Partner + Propaganda für zeitgenössische Literatur aus Deutschland, Post-Jugoslawien und dem US-amerikanischen Hinterland. 2013 und 2016 war sie Stipendiatin der Kulturstiftung des Freistaats Sachsen. 2018 Residenzstipendium am Goethe-Institut Thessaloniki. 2014 erschien ihr Debütroman »Schweinesystem« (nominiert für den aspekte-Literaturpreis).

Zum Buch:

Als das Verhältnis von Anatol zu seiner Mutter am Tiefpunkt angekommen ist, schickt ihn Ottilie — Wahlverwandte und Ersatzoma — ohne Rückflugticket in die Vereinigten Staaten, in eben jene Kleinstadt, in welche sie nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihren Eltern gezogen war. Beiden jedoch wird hier kein Neustart gelingen; beide kehren sie nach kurzer Zeit nach Deutschland zurück. Anatol, nachdem es ihm nicht gelungen ist, die Bilderbuchfamilie, die er aus seinen frühen Kindertagen kennt, mit einem eigenen Kind wiederherzustellen, und Ottilie, um sich der Aufklärung der faschistischen Verbrechen ihres Vaters zu widmen. Lou, Anatols Mutter, befindet sich zwischen diesen beiden Charakteren. Nicht nur die Rückkehr ihres Sohnes droht sie zu überfordern, ihre Freundin ist nach einem Sturz auf ihre Hilfe angewiesen, die Neofaschisten – und ehemaligen Freunde – aus dem Kleingartenverein haben keine Zeit verloren, Ottilies Parzelle in deren Abwesenheit in einen Prepper-Bunker zu verwandeln. Gerüstet für den Weltuntergang wollen sie, wie sie sagen, ihr Leben endlich wieder selbst in die Hand nehmen. Auf der kleinen Deutschlandkarte in der Laube markieren rote Stecknadeln jedes Asylbewerberheim, das in den letzten Jahren brannte.

Der Titel Trümmerfrauen und die inhaltliche Drehung, die er durch die Frauen, die hier mit ihm verknüpft werden, erfährt, kann geradezu als paradigmatisch für das Vorhaben des Romans von Christine Koschmieder genommen werden. Der Stil der Autorin besteht auf einer Erzählung, die jede Mystifizierung, sei sie von Widerstand oder Grausamkeit, unmöglich macht. In ihren Figuren zeigt sich die Gleichzeitigkeit von alltäglicher Positionierung und politischer Realität. Sie stehen weder exemplarisch für eine bestimmte Gruppe oder Idee noch erlauben die Schilderungen ihrer Neurosen und Ängste eine psychologisierende Deutung. Trümmerfrauen erfindet für sich die Form eines Historienromans, der seine Figuren provozierend durchschnittlich erscheinen lässt; in ihren Ängsten und Neurosen nicht selten auch lächerlich.

Dieser Roman wird einem mitnichten die psychologischen Grundlagen eines ostdeutschen Faschismus oder die sozialen Voraussetzungen antifaschistischer Gegenwehr darlegen. In einem gewissen Sinne ist er sogar ein Gegenentwurf zum Stil Annie Ernaux’ oder Didier Eribons. Dieses Buch wird – ebenso wie es die gerade erwähnte französische Gegenwartsliteratur in ihrer eigenen Form getan hat – jede*r Leser*in die Möglichkeit bieten, sich neu damit auseinanderzusetzen, wie wir Geschichte erzählen.

Theresa Mayer, autorenbuchhandlung Marx & co, Frankfurt