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Aufregende Zeiten

Autor
Dolan, Naoise

Aufregende Zeiten

Untertitel
Roman. Aus dem Englischen von Anne-Kristin Mittag
Beschreibung

Aufregende Zeiten spricht eine Bedeutungsebene an, die in vergleichbaren jungen Popromanen selten zu finden ist: Die Autorin Naoise Dolan richtet ihre Aufmerksamkeit weniger monothematisch am Sexleben der Hauptfiguren aus, sondern zielt stattdessen auf das Politische hinter der Fassade des Privaten. Die entscheidende Gretchenfrage genau in der Mitte der Erzählung lässt die vereinzelt aufscheinenden Problemfelder wie magisch um sich kreisen: «Übrigens, Ava, bist du Kommunistin?» (147).
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Rowohlt Verlag, 2021
Seiten
320
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-498-00217-6
Preis
20,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Naoise Dolan, 27, wurde in Dublin geboren. Sie studierte Anglistik In Dublin und Oxford und lebt heute in London.

Zum Buch:

Aufregende Zeiten spricht eine Bedeutungsebene an, die in vergleichbaren jungen Popromanen selten zu finden ist: Die Autorin Naoise Dolan richtet ihre Aufmerksamkeit weniger monothematisch am Sexleben der Hauptfiguren aus, sondern zielt stattdessen auf das Politische hinter der Fassade des Privaten. Die entscheidende Gretchenfrage genau in der Mitte der Erzählung lässt die vereinzelt aufscheinenden Problemfelder wie magisch um sich kreisen: «Übrigens, Ava, bist du Kommunistin?» (147).

Die Rahmenhandlung ist simpel: Protagonistin Ava führt in Hongkong eine gestelzte Dreiecksbeziehung mit dem viel älteren Bankier Julian und mit Edith, die in einer Kanzlei arbeitet. Absurd, weil Ava, selbst unterbezahlte Englischlehrerin, einerseits zwar kostenlos in Julians teurer Wohnung wohnt und damit dem WG-Leben entkommt, andererseits aber ihre Frustration über diese Situation immer wieder gerade an ihm auslässt, der nun wirklich nicht allzu viel dafür kann. Auf dieser Ebene befriedigt Aufregende Zeiten alle Forderungen nach einem einfach zu lesenden, netten Roman mit dem Blick auf Alltägliches.

Doch das eigentliche Thema unter dieser Oberfläche ist das Aufeinanderprallen von Weltanschauungen im Alltag ganz normaler Menschen. Obwohl dieses Thema von den meisten Besprechungen völlig ignoriert wurde (weder der Guardian noch die NY Times, weder die LA Times noch die britische Times verschwendeten einen Gedanken daran), klaffen hinter dem gesellschaftsfähigen Lächeln der Figuren tiefe Widersprüche: Ava weiß nicht weniger interessant als ein Eribon von ihrer konflikthaften irisch-widerständigen Herkunft zu erzählen, zwischen Julian und seinem altsozialistischem Vater Miles, der das Banker-Leben seines Sohns verachtet, brodelt es mächtig, Hongkong als Schauplatz steht an sich schon für das Spannungsfeld zwischen Postkolonialität und autoritärer Herrschaft, und nicht zuletzt Avas an der glatten Oberfläche dekadenter Cocktailparties köstlich abprallende antikapitalistische Perlen lassen keinen Zweifel an der Stoßrichtung der Geschichte.

Ava bleibt darin die mehrfach Leidtragende – sie ist nicht nur unzufrieden damit, wie wenig sich dieser Lebensstil mit ihrem feministischen und antikapitalistischen Bewusstsein verträgt, sondern kann darüber hinaus gar nicht anders, als diesen Umstand mit vielen Schichten von Ironie, Post-Ironie und Verdrängung halbwegs erträglich zu machen. Ironie als letzte Zuflucht macht die Zumutungen erträglich, selbst Widerstand wird so zur Anpassung. Diese doppelte Beleidigung strukturiert Avas Leben und verschraubt sich zu neuen Kombinationen und Färbungen.

Ava selbst kann diesen Zwischenwelt-Status – gefangen zwischen der Herrschaft des Autoritären und der Herrschaft der neoliberalen Freiheit – auf sich allein gestellt nicht ändern, und Naoise Dolan kann die Widersprüche dieser Haltung nicht auflösen. Dennoch kommt Aufregende Zeiten einer solchen Perspektive näher, als selbst Otessa Moshfegh es vermochte.

Florian Geisler, Karl Marx Buchhandlung, Frankfurt