Zum Buch:
Eine Wunderkammer voller kurioser Geschichten hat Olga Tokarczuk in ihrem Roman Unrast versammelt: Eine Sammlung von Erzählungen, von Beobachtungssplittern, von Essays, die uns eine ebenso kluge wie klare Autorin präsentiert und an verschiedene Orte, in unterschiedliche Zeiten entführt. Da ist der eigenbrötlerische ehemalige Walfänger Eryk, der aller Abenteuer beraubt, nunmehr die Fähre zwischen Insel und Festland monoton auf einer einzigen Geraden steuert; da ist der Urlauber aus Polen, der in der sengenden Hitze Frau und Kind zu suchen beginnt, die ihm auf einer kroatischen Insel vor Split abhandengekommen sind, und da ist Charlotta Ruysch, Tochter des großen Anatomen Fryderyk Ruysch, die sich, anders als der Vater, auf die Abarten des menschlichen Lebens konzentriert hat, sie präpariert und konserviert – monstrum humanum acephalum.
Auf eben solche Nebenwege und Absonderlichkeiten, bei denen die Perspektive manchmal nur minimal verschoben ist, begibt sich Tokarczuk. Sie seziert und bleibt zugleich doch an der Oberfläche haften; an psychologischen Studien ist sie nicht interessiert.
Zu den eindrücklichsten Erzählungen gehören sicher jene über den Anatomen und Chirurgen Philip Verheyen samt des Briefes an ein amputiertes Bein, ein Bein, das ihn zeitlebens mit Phantomschmerzen gequält hat, sowie jene über Josephine Soliman, die Franz I. inständig darum bittet, den präparierten Körper ihres toten Vaters aus dem königlichen Naturalienkabinett zu entfernen – Angelo Soliman, einst als Sklave aus dem Gebiet des heutigen Nigeria verkauft, wurde zum hochgeschätzten Kammerdiener des Kaisers und nach seinem Tod zur Schau gestellt.
Die Geschichten in Unrast sind nicht als Roman komponiert, doch die Erzählungen und Beobachtungen ergänzen und kommentieren einander auch ohne einen stringenten logischen Zusammenhang. Das Buch ist ein wahres Kuriositätenkabinett, in dem das Innere nach außen gestülpt und das Innenleben zur Oberfläche wird. Bei Olga Tokarczuk kann man lesen und staunen, mit welcher Klarheit und Leichtigkeit vom wundersamen Leben berichtet werden kann.
Ines Lauffer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt