Zum Buch:
Nora Webster ist eine außergewöhnliche Frau, in jeder Beziehung: willensstark, selbstbewusst und intelligent, mutig und zugleich beherrscht, modern und im Denken wie Handeln unabhängig. Sie wehrt sich gegen die skandalösen, menschenverachtenden Methoden ihrer Vorgesetzten, tritt hinter dem Rücken der Unternehmerfamilie in die Gewerkschaft ein. Sie nimmt Gesangsunterricht, entdeckt ihre Liebe zur Musik wieder und nimmt sich überhaupt, wie manche meinen, zu viele Freiheiten heraus. Dieses neue Leben hat 46 Jahre lang in ihr geschlummert und wäre doch nie von ihr entdeckt worden, wenn ihr Mann nicht gestorben wäre.
Der Roman umfasst die Jahre von 1969 bis 1972, die nur anhand der politischen Ereignisse – wie dem Brand der britischen Botschaft in Dublin, der Mondlandung oder der Unruhen in Derry – auszumachen sind. Für Nora Webster sind es drei lange Jahre, in denen sie sich ihre gesellschaftliche Stellung, eine gehörige Portion Respekt und damit ein außergewöhnliches Stück Freiheit erkämpft. Es sind zugleich aber auch drei Jahre der Trauer, in denen die Kleider ihres Mannes Maurice unangerührt im Schrank hängen bleiben, in den Taschen manch seiner Jacketts noch ein Stück Kreide aus der Schule.
Mit Colm Tóibíns neuem Roman taucht man vollkommen ein in die Lebensumstände und die Psyche dieser Frau, die sich selbst aus der Ohnmacht tiefster Trauer herauskämpft in ein neues Leben, das vielleicht nicht besser, in jedem Fall aber auch nicht schlechter ist als das, das sie zurücklassen musste.
Susanne Rikl, München