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Autor
Schwabe, Marina

Rift

Untertitel
Roman
Beschreibung

Janko ist todkrank. Die Diagnose erfahren wir nicht, aber die Richtung ist eindeutig. Seine Schwester Zuzanna, Geologin, nimmt ein Sabbatical, löst sich aus ihrem Alltag und begleitet ihn auf eine letzte Reise – fünfzehn Dollar am Tag – quer durch die USA, von New York bis zum Pazifik. Jankos Wunsch: einmal den pazifischen Ozean sehen.
Rift ist ein Roman, der Verletzlichkeit zeigt, ohne sie auszustellen, der Schmerz, Humor und Fürsorge nebeneinanderstehen lässt, Landschaften, Körper und Abschiede in eine ungewohnte Perspektive setzt. Und es ist ein Buch, das nachhallt wie ein tektonischer Riss: leise, aber endgültig.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Steidl Verlag, 2025
Format
Gebunden
Seiten
160 Seiten
ISBN/EAN
978-3-96999-492-4
Preis
24,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Marina Schwabe, geboren 1987 in Berlin, studierte Jura in Berlin und später Literarisches Schreiben in Hildesheim. Sie war Mitherausgeberin der BELLA triste, Teil der Künstlerischen Leitung des PROSANOVA. 2018 war sie Finalistin des 26. open mike. Sie gibt Workshops im Literarischen Schreiben mit Kindern und Jugendlichen. Rift, ihr erster Roman, wurde mit dem Literaturpreis der Jürgen Ponto-Stiftung ausgezeichnet.

Zum Buch:

Marina Schwabes Debütroman Rift trägt im Titel ein Bild aus der Geologie:
Ein „Rift“ ist ein Riss, eine Aufreißstelle der Erde, an der enorme tektonische Kräfte die Erdplatten auseinanderziehen. Die Erdkruste dehnt sich, Risse und Verwerfungen entstehen, begleitet von Erdbeben und Vulkanismus. Langfristig formen sich neue Landschaften. Dieses Bild lässt sich mühelos auf die Geschwister Zuzanna und Janko übertragen, die Protagonist*innen dieses stillen und eindringlichen Romans.

Janko ist todkrank. Die Diagnose erfahren wir nicht, aber die Richtung ist eindeutig. Seine Schwester Zuzanna, Geologin, nimmt ein Sabbatical, löst sich aus ihrem Alltag und begleitet ihn auf eine letzte Reise – fünfzehn Dollar am Tag – quer durch die USA, von New York bis zum Pazifik. Jankos Wunsch: einmal den pazifischen Ozean sehen.

Die Ausgangssituation wirkt vertraut, doch Schwabe erzählt anders, als man es aus vergleichbaren Road-Novels kennt. Begegnungen entlang der Strecke bleiben Randerscheinungen; das Augenmerk liegt auf den Körpern, den Bewegungen, der physischen Verwandlung, die Jankos Krankheit hervorruft – und auf dem Auseinanderdriften und Wiederannähern der Geschwister. Zuzanna beschreibt sowohl den Zerfall ihres Bruders als auch die Landschaften, die sie durchqueren, mit einem exakten, naturwissenschaftlichen Vokabular. Das gibt ihr Halt, stößt jedoch an seine Grenzen, sobald es um Nähe, Angst und Liebe geht.

Der Roman verbindet Landschaft, Geologie und Endlichkeit, ohne ins Symbolische oder Sentimentale auszuweichen. Ob Tornados, Vulkanausbrüche oder Salzseen: Naturprozesse erscheinen nicht bloß als Metaphern für Krankheit, sondern als Phänomene, deren Unerbittlichkeit sogar tröstet. In einer eindrücklichen Passage verschränkt Marina Schwabe Zuzannas geologischen Blick mit einem stillen Nachdenken über das Weiterleben der Welt. Am Rand eines Salzsees spricht die Erzählerin darüber, dass Arten verschwinden und andere entstehen werden, lange nachdem sie und Janko nicht mehr da sind. „Aus meiner Sicht ist es so: Wenn diese Lebewesen hier nicht überleben können, dann kommen irgendwann andere“, sagt sie. In dieser Nüchternheit liegt ein Trost, der sich der Tragik nicht verweigert. Janko hört zu, und sein leiser Wunsch – Ich wäre schon gerne länger geblieben. Auf Erden. – markiert einen Moment großer Zärtlichkeit und Klarheit. Die Autorin zeigt hier, wie sich die Geschwister inmitten einer sterbenden Landschaft an das halten, was bleibt: an Bewegung, an den Kreislauf, an das Wissen, dass nichts stillsteht, auch wenn es schwindet.

Auch große Katastrophen zerstören nicht dauerhaft. Der Ausbruch des Mount St. Helens im Jahr 1980 hinterließ ein karges, graues Gebiet, das langsam wieder Leben zulässt. Zuzanna findet in dieser Perspektive Orientierung, wenn sie feststellt, dass Menschen für die Erdgeschichte „ziemlich unbedeutend“ sind, und sie sich beruhigt zeigt, dass der Vulkan „ungefähr so alt ist wie der europäische Mensch“ – ein Gegenüber also, das „keinen evolutionären Vorteil“ hat und „mit Janko und mir gleichauf“ ist. Dieser Gedanke wird für die Geschwister zur kaum ausgesprochenen Stütze: dass Verlust ein Neuanfang sein kann, nicht bloß Auslöschung.

Marina Schwabes Sprache ist knapp, klar, fast nüchtern, doch in dieser Zurückhaltung liegt ihre größte Stärke. Sie verweigert jede Emotionalisierung, und gerade deswegen entsteht eine tiefe Zärtlichkeit. Rift ist ein Roman, der Verletzlichkeit zeigt, ohne sie auszustellen, der Schmerz, Humor und Fürsorge nebeneinanderstehen lässt, Landschaften, Körper und Abschiede in eine ungewohnte Perspektive setzt. Und es ist ein Buch, das nachhallt wie ein tektonischer Riss: leise, aber endgültig.

Sara Mundt, Der andere Buchladen, Köln