Zum Buch:
Eine Frau liegt an einem Morgen tot in einem Park. Sie trägt ein auffallendes rotes Kleid, ihre Schuhe fehlen, und sie wurde erstochen. Neben ihr steht eine andere, ihr völlig ähnelnde, gleich gekleidete Person, die auf den toten Körper blickt und verwundert feststellt, dass es ihr eigener ist. Sie sieht den Körper, erkennt ihn als den ihren, kann sich aber weder erklären, was geschehen, noch wer sie selbst ist. Andrä, ein im Dienst ums Leben gekommener ehemaliger Kriminalkommissar, der von seinem alten Metier nicht lassen kann, hilft ihr, sich in ihrer neuen Welt – der Welt der Gespenster – zurechtzufinden und zu erinnern. An ihren Namen, ihre Familie und, so hofft er, auch an die Tat.
Michael Kumpfmüller fügt mit seinem neuen Roman Wir Gespenster dem bekannten Sujet der Jenseits-Lektüre eine weitere Facette hinzu. Im Gegensatz zu vielen Texten überwiegt hier weder existentialistische Resignation noch Schauer oder esoterischer Tiefsinn. Die Toten sind in einem Zwischenstadium. Sie sind in unserer Welt, haben Gedanken, Gefühle, Wünsche und Empfindungen. Sichtbar für die Lebenden sind sie nicht. Ihre Erinnerung ist – anfangs zumindest – lückenhaft. Sie sehen und hören alles und bewegen sich schwerelos. Was sie nicht können, ist, die Schranke zu den Lebenden zu durchbrechen – auch wenn manche von ihnen behaupten, es gebe Menschen, die sie hören könnten. Allen ist klar, dass dieser Zustand ein Durchgangsstadium ist und sie irgendwann endgültig „verschwinden„ werden.
Nach und nach kommen Lilli und Andrä sich näher. Wir Lebenden würden sagen, sie beginnen mehr füreinander zu empfinden als nur Sympathie. Andrä hält daran fest, den „Fall“lösen zu wollen, während Lilli sich zunehmend von ihrer Vergangenheit lösen kann und in einem Zustand heiterer Gelöstheit ihre Tage verbringt. Aber als sie dann mit Hilfe anderer Gespenster dem Täter auf die Spur kommen, ändern sich die Prioritäten und die Antwort auf die Frage, was in der Zeit, die sie hier sind, wirklich wichtig ist, völlig….
Wir Gespenster ist ein leichter Roman, heiter und melancholisch und keineswegs oberflächlich. Wer von der Lektüre keine tiefgründige existentielle Auseinandersetzung über Leben und Tod erwartet, wird mit dem Buch unterhaltsame Stunden verbringen.
Ruth Roebke, Frankfurt am Main