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Streulicht

Autor
Ohde, Deniz

Streulicht

Untertitel
Roman
Beschreibung

Auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2020

Deniz Ohdes Debütroman wurde nun wirklich in jedem Feuilleton besprochen – und zurecht: dieser Bildungsroman ist eines der bedrückendsten und auch gerade darum berührendsten Bücher, das ich in den letzten Jahren gelesen habe.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Suhrkamp Verlag, 2020
Seiten
284
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-518-42963-1
Preis
22,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Deniz Ohde, geboren 1988 in Frankfurt am Main, studierte Germanistik in Leipzig, wo sie auch lebt. 2016 war sie Finalistin des 24. open mike und des 10. poet bewegt Literaturwettbewerbs, 2017 Stipendiatin des 21. Klagenfurter Literaturkurses. 2019 stand sie auf der Shortlist für den Wortmeldungen-Förderpreis. Streulicht ist ihr erster Roman.

Zum Buch:

Deniz Ohdes Debütroman wurde nun wirklich in jedem Feuilleton besprochen – und zurecht:
Denn dieser Bildungsroman ist eines der bedrückendsten und auch gerade darum berührendsten Bücher, das ich in den letzten Jahren gelesen habe.

Die Ich-Erzählerin kehrt zurück an ihren Heimatort – einen Stadtteil, der von Industrie geprägt ist, in dem immer der Geruch der Müllverbrennungsanlage in der Luft hängt –, weil ihre Freunde, die den Ort nie verlassen haben, heiraten. Während dieses Besuchs erinnert sie sich an ihre Kindheit und Jugend, die geprägt war von Klassismus und Rassismus.

Der Vater, ein Arbeiter in der nahegelegenen Fabrik, hortet zwanghaft Dinge, zertrümmert im Alkoholrausch das Mobiliar, isoliert sich, wo es nur geht, und fordert dies auch von seiner Tochter. Die Mutter, aus der Türkei migriert, gibt irgendwann einfach auf und verlässt die Familie.

Ihre Herkunft wird der Erzählerin erstmals in der Schule bewusst: Ihre Freundinnen sind blond, wohnen in Einfamilienhäusern mit Vorgarten, sie selbst wird auf dem Schulhof rassistisch beschimpft. Mutter und Lehrerin spielen den Vorfall herunter.

Die Protagonistin lernt schnell, sich unsichtbar zu machen, sie spricht leise, nimmt eine Körperhaltung ein, verbietet ihren Freundinnen, sie laut bei ihrem richtigen Namen zu rufen, um zu keiner Zeit ungewünschte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie hat nicht gelernt, sich mitzuteilen, ist unfähig, die Erfüllung ihrer Bedürfnisse einzufordern. Die LehrerInnen in der Schule interessieren sich kaum für sie; nach einem Elterngespräch bemerkt sogar der Vater, dass der Lehrer überhaupt nicht gewusst habe, wer seine Tochter sei. “Ich betrachte die Tintenschrift, manchmal durch Tränenflüssigkeit verwischt, was ich damals zum Zeichen meiner Überforderung stehen gelassen hatte, in der Hoffnung, jemand würde es verstehen, aber ich hatte nur einen Vermerk wegen nachlässiger Form dafür bekommen.”

So kommt es, dass sie die Schule früh abbricht. Ihren Schulabschluss erlangt sie auf dem zweiten Bildungsweg, auch ein Studium schließt sie ab. An der Abendschule erlebt sie zum ersten Mal wirkliche Unterstützung, eine Lehrerin erkennt ihr Potential und spricht ihr Mut zu, die Protagonistin wird letztlich zur Bildungsaufsteigerin.
Zentrales Stilmittel des Romans sind die aufwendig konstruierten Rückblenden, in denen die Erzählerin der Frage nachgeht, welche Rolle ihre soziale Herkunft, aber auch ihre individuelle Familiengeschichte für ihren Werdegang spielten.

Deniz Ohde schafft es auf geradezu kunstvolle Art, strukturelle Diskriminierung anhand einer konkreten Biografie sichtbar zu machen; sie schreibt von Vernachlässigung, Gewalt und einem Bildungssystem, das für eine Elite konstruiert ist.

Ein beeindruckender und bewundernswerter Roman, der den Büchern von Edouard Louis oder Annie Ernaux in nichts nachsteht.

Lisa Hürtgen, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt