Zum Buch:
Die Handlung von Long Island wirkt eher unspektakulär. Das Lesen nimmt aber in einer Weise mit, wie es bei Kriminalromanen geschieht. Weil die Zeitschichten sich überlagern und die Perspektiven immer wieder wechseln, weiß der Lesende oft mehr als die Romanfiguren. Aber weil so wenig über die Psyche der ProtagonistInnen erzählt wird, ist nie abzuschätzen, wie sie sich entscheiden werden. Das sind die scheinbar einfachen Fragen, die immer wieder offenbleiben. Was wird sie jetzt tun? Wie wird er sich entscheiden?
Die Küste ist nah, das Hinausschwimmen könnte eine Lösung sein. Aber Eilis kommt aus dem kalten Wasser an den Strand zurück. Sie ist Amerikanerin, seit vielen Jahren schon. Ihre Flucht aus der Enge der irischen Kleinstadt liegt lange zurück. Ihre Auswanderung und die Ankunft hat Toibin in Brooklyn erzählt. Damals hat sie kommentarlos ihren Geliebten Jim verlassen. Auch ihre Freundin Nancy hat kein Lebenszeichen mehr von Eilis erhalten. Nur ihrer Mutter hat sie regelmäßig geschrieben. Als die nun ihren 80. Geburtstag feiert, kommt Eilis mit ihren beiden Kindern zu einem längeren Besuch. Eine übersichtliche Geschichte. Auch die Lebensverhältnisse der drei ProtagonistInnen sind unspektakulär. Die Dramatik steckt in den meist verschwiegenen Wünschen und Ängsten der Menschen. Wenn sie ausgesprochen werden oder einfach nicht mehr zu verheimlichen sind, reagieren alle drei. Eilis beschließt, ihren Mann in Long Island vorerst zu verlassen, als sie erfährt, dass eine andere Frau ein Kind von ihm bekommt. Nancy möchte ihre langsam gewachsene Liebesbeziehung mit Jim endlich öffentlich machen und dadurch in der Kleinstadt ihr Leben ändern. Jim lässt sich darauf ein und folgt ihren Wünschen mit großer Vorsicht. Als aber Eilis und Jim sich wiedersehen, beginnt sich alles zu drehen – vielleicht jedenfalls. Denn das Schweigen könnte die Verhältnisse auch stabil halten. Die Kleinstadt ist katholisch, die Messe in der Kathedrale ist das zentrale Ereignis der Geburtstagsfeier für Eilis‘ Mutter. Hier kommen alle zusammen. Damit ist die Geschichte aber noch nicht zu Ende.
Ein spannender Roman, dessen Untiefen sich immer weiter erschließen.
Gottfried Kößler , Frankfurt a.M.