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Susanna

Autor
Capus, Alex

Susanna

Untertitel
Roman
Beschreibung

Alte Gewissheiten gelten nicht mehr, neue sind noch nicht zu haben. In New York wird die Brooklyn Bridge eröffnet, Edisons Glühbirnen erleuchten die Stadt. Mittendrin Susanna, eine Malerin aus Basel, die als Kind mit ihrer Mutter nach Amerika ausgewandert ist. Susanna Faesch oder, wie sie sich später nennt, Caroline Weldon ist eine historische Figur, bekannt geworden für ihren Einsatz gegen die Vernichtung der amerikanischen Indianer. Mit wachem, aber distanziertem Blick, der sich vom technischen Fortschritt nicht blenden lässt, schaut sie auf die gewaltigen Veränderungen ihrer Zeit und folgt unbeirrbar ihrem eigenen, unkonventionellen Weg. Das mitreißende Portrait einer eigenwilligen und wagemutigen Frau, voller Schönheit und Mitgefühl erzählt.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Hanser Verlag, 2022
Seiten
288
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-446-27396-2
Preis
25,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Alex Capus, geboren 1961 in der Normandie, lebt heute in Olten. Er schreibt Romane, Kurzgeschichten und Reportagen. Für sein literarisches Schaffen wurde er u.a. mit dem Solothurner Kunstpreis 2020 ausgezeichnet.

Zum Buch:

Literarische Experten und Expertinnen allerorten beharren darauf, dass sich die Qualität eines Romans oder einer Erzählung am ersten Satz oder doch den ersten Sätzen ablesen lässt. „Vor dem Gesetz steht ein Türhüter“, ist so ein Beispiel für berühmte Anfänge der Weltliteratur, „Am Anfang war das Wort“ ein anderes. Und auch wenn ich Alex Capus bei weitem nicht mit Kafka und schon gar nicht mit der Bibel vergleichen möchte, dürfte es der Anfang seines neuen Romans doch irgendwann in die Reihe der Werke schaffen, deren erste Sätze als ein Beispiel für die Unmöglichkeit zitiert werden, nach dem ersten harten Schlucken nicht weiterzulesen:

„Da war dieses Mädchen. Ich wünschte, ich hätte sie gekannt. Ich wünschte, ich wäre schon auf der Welt gewesen, als sie dem Pferdeknecht Anton Morgenthaler, der doppelt so groß, dreimal so breit und fünfmal so schwer war wie sie, in einem Akt entschlossener Notwehr mit dem rechten Zeigefinger das linke Auge ausstach.“

Die kleine Susanna Faesch, so ihr Name, war zu diesem Zeitpunkt übrigens ganze fünf Jahre alt, und wir erfahren im folgenden mehr über diesen bemerkenswerten Vorfall beim jährlichen Fest anlässlich der Ankunft des „Wilden Manns“ im Mitte des 19. Jahrhunderts immer noch streng pietistischen Kleinbasel. Mehr auch über die Familie, über den Vater, der sich nach einer Zeit bei der Fremdenlegion wieder in der Schweiz niedergelassen, geheiratet und neben zwei Söhnen eben diese Susanna gezeugt hat, über seine Frau Maria, die sich ihrem Mann mehr und mehr entfremdet, und über seinen Freund, den deutschen Arzt Karl Valentiny, der aufgrund seiner Beteiligung an der Revolution von 1848 Deutschland verlassen muss und nach einem Aufenthalt bei Familie Faesch nach Amerika emigriert. Wir erfahren, dass daraufhin Maria ihren Mann verlässt, mit der Tochter zu Karl reist und ihn heiratet. Wir erfahren weiter, dass Susanna unter der liebevollen Anleitung ihres Stiefvaters lernt zu zeichnen, sich unter dem Pseudonym Caroline Weldon einen Namen als Porträtistin macht, heiratet, sich scheiden lässt, einen Sohn bekommt, sich für die Rechte der amerikanischen Indianer einsetzt und die Sekretärin von Sitting Bull wird. All das lässt sich auf Wikipedia nachlesen, denn diese Susanna Faesch hat es wirklich gegeben.

Nun haben wir es hier aber mit einem Roman zu tun, und Alex Capus widmet dem familiären Hintergrund seiner Protagonistin sehr viel mehr Zeit als dem Aktivismus ihres Erwachsenenlebens. Weit entfernt von allem, was man „Dokufiktion“ nennt, widmet er sich dem Innenleben seiner Figuren, verweist sozusagen vom Inneren aufs Äußere und lässt so mehr über die letzte Hälfte des 19. Jahrhunderts erfahrbar werden, als man Geschichtsbüchern entnehmen könnte. Die innere Distanz, mit der er seine Protagonisten auf ihr Leben, ihre Beziehungen und die lebensverändernden technischen Neuerungen – etwa der Gleisbau in der Schweiz und die Erfindung des elektrischen Lichts in Amerika – blicken lässt, findet ihr Gegenstück in der sehr knappen Sprache – sachlich und zugleich wunderbar bildhaft, nüchtern und ungeheuer suggestiv – sowie in einer Erzählweise, die sich auf Details konzentriert und das große Ganze da, wo es möglich ist, der Fantasie der Leserin überlässt. Für mich ist Susanna das bislang beste Buch von Alex Capus – und natürlich die erneute Bestätigung für die Bedeutung erster Sätze …

Irmgard Hölscher, Frankfurt a.M.