Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Shalev, Meir

Zwei Bärinnen

Untertitel
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama
Beschreibung

Was braucht ein junger Mann, der Ende der zwanziger Jahre in Israel eine Dorfgemeinschaft begründen will? Er braucht „Gewehr, Kuh, Baum und Frau“. Und zwar exakt in dieser Reihenfolge. Mit dieser Bemerkung dürfte die junge Wissenschaftlerin Warda Canetti kaum gerechnet haben, als sie die Lehrerin Ruta Tavori für ihr Forschungsprojekt über die Geschichte des Jischuw mit dem Schwerpunkt auf Genderpolitik interviewte. Genauso wenig wohl wie mit der Erzählung, die sie im Laufe ihrer Gespräche zu hören bekommt. Einer so poetischen wie brutalen, so erotischen wie gewalthaltigen Erzählung, denn die Geschichte des Jischuw handelt , wie alle anderen Geschichten, von „Liebe und Hass und Geburt und Tod und Rache. Und Familien (…).“ Und manche Familien, das wird Warda (und die Leserin) noch merken, haben es wirklich in sich.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Diogenes Verlag, 2014
Format
Gebunden
Seiten
416 Seiten
ISBN/EAN
9783257069112
Preis
22,90 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Meir Shalev wurde 1948 in Nahalal in der Jesreel-Ebene geboren. Er studierte Psychologie und arbeitete viele Jahre als Journalist, Radio- und Fernsehmoderator. Inzwischen ist er einer der bekanntesten und beliebtesten israelischen Romanciers. 2006 erhielt er für sein Gesamtwerk den Brenner Prize, die höchste literarische Auszeichnung in Israel. Meir Shalev schreibt regelmäßig Kolumnen für die Tageszeitung Yedioth Ahronoth . Er lebt mit seiner Familie in Jerusalem und in Nord-Israel.

Zum Buch:

Folgt man den Akten, haben sich 1930 in dem nordisraelischen Dorf drei Männer umgebracht. Einer hatte Schulden und der andere litt an einer unheilbaren Krankheit, nur beim dritten gab es keinen stichhaltigen Grund. Was Wunder, handelte es sich bei ihm doch um keinen Selbstmord. Natürlich wusste das im Dorf jeder, und natürlich wurde darüber nie gesprochen. Aber jetzt, im Gespräch mit der jungen Wissenschaftlerin, entschließt sich Ruta, das Schweigen über ihre Familiengeschichte zu brechen und die ganze Geschichte zu erzählen: die Geschichte ihres Großvaters Seev, dem Tyrannen, der seine Frau in ein frühes Grab und seine Söhne in ferne Länder getrieben hatte, seine Enkel, Ruta und ihren Bruder, aber liebevoll und zärtlich großzog und schließlich auch Rutas Mann, der über dem Tod des gemeinsamen Sohnes fast zerbrochen wäre, so sanft wie entschieden wieder ins Leben zurückführte. Die Geschichte einer Männerwelt, erzählt aus der Perspektive der Frau, die aus dieser Welt von den Männern, die sie liebt, ausgeschlossen wird und der nicht anderes bleibt, als sie aus bitterer und verzweifelter Distanz zu beobachten.

Meir Shalev ist als außergewöhnlich guter Erzähler bekannt, aber seine faszinierenden Bilder, seine lustvoll überbordende Sprache wirken in diesem Roman von einem Furor getrieben, der selbst in seinem umfangreichen Werk keine Entsprechung hat und einen bei der Lektüre fast unerbittlich mit sich reißt. Von den ersten, verwirrenden und rätselhaften Kapiteln an entfaltet er ein Kaleidoskop aus Geschichten und Situationen, mal ungeheuer zärtlich und liebevoll, mal erschreckend brutal, dem man zunächst nur atemlos folgen kann. Erst allmählich erkennt man den Faden, den Ruta in der Hand hält und der aus dem Labyrinth der verschiedenen Ereignisse, Zeiten und Personen herausführt. Das ist meisterhaft gemacht und lässt einem am Schluss, wenn all die furchtbaren Geheimnisse aufgedeckt und alle losen Enden verknüpft sind, bei allem Schrecken fast ehrfürchtig vor soviel Kunstfertigkeit zurück. Und dann setzt das Nachdenken ein: über die Macht von Sprache und Bildern, über Männerbünde und Männerfreundschaft, über die Rolle der Frauen in einer Siedlergesellschaft, über Krieg und über die Möglichkeiten, patriarchale und militärische Strukturen aufzubrechen. Mehr kann man von einem guten Roman nicht verlangen.

Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main