Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Hoeg, Peter

Das stille Mädchen

Untertitel
Roman. Aus dem Dänischen von Peter Urban-Halle
Beschreibung

Kasper Krone ist der berühmteste Clown Europas – und er hat ein phänomenales Gehör. Als eines Tages das Mädchen KlaraMaria – von der eine eigenartige Stille ausgeht – verschwindet, ahnt er, dass etwas Entsetzliches geschehen wird, wenn er sie nicht sucht und befreit. Autojagden, Fensterstürze, eine Flucht durch das Kopenhagener Kanalisationssystem und eine Naturkatastrophe: Peter Høeg ist ein Meister der Spannungsliteratur. Doch er erzählt auch von der Suche nach Weisheit und dem Sinn des Lebens – und von der großen Liebe.

Verlag
Carl Hanser Verlag, 2007
Format
Gebunden
Seiten
459 Seiten
ISBN/EAN
978-3-446-20824-7
Preis
24,90 EUR

Zum Buch:

Zehn Jahre hat es gedauert, bis Peter Hoeg ein neues Buch vorgelegt hat. Nach den eher schwächeren Büchern zuvor knüpft Das stille Mädchen mit seinem Tempo und der Spannung direkt an seinen ersten Bestseller Fräulein Smillas Gespür für Schnee an. Wie dort ist es vordergründig ein Thriller und was bei Smilla als inneres Leitthema der Schnee war ist hier die Musik.

Kasper Krone, weltberühmter Clown, ist mit einem übernatürlichen Gehör ausgestattet. Er hört, in welcher Schwingung ein Mensch gestimmt ist, kann dessen Gefühlsregister und psychische Muster wahrnehmen und sie klingen ihm wie Musik. Oder wie Lärm.

Mit diesen Gaben verdiente er sein Geld nicht nur als Cirkusstar sondern auch als Kindertherapeut und er ist dem Geld und anderen weltlichen Dingen durchaus nicht abgeneigt. Aber irgendwann ist sein Leben aus dem Ruder gelaufen. Die Frau, die er liebt, hat ihn verlassen, die Steuerfahndung ist nicht nur in seinem Heimatland hinter ihm her, sämtliches Geld ist beschlagnahm, er hat alle seine Auftrittsverträge gekündigt. Dann begegnet er KlaraMaria, einem zehnjährigen Mädchen. An ihr erspürt er, was er sucht: die Stille hinter dem äußeren und inneren Getöse der Welt. Es gibt noch mehr Kinder, die diese Fähigkeit zur Stille haben. Zwei von ihnen werden entführt, da man sie für kriminelle Machenschaften nutzen will.

Hoeg entwirft eine Welt, in der die Avantgarde der kriminellen Kräfte sich bereits zu nutze macht, was die normale Gesellschaft als Humbug ablehnt: daß dem Menschen Kräfte innewohnen, die weit über das hinaus gehen, was er gewöhnlich nutzt und daß es einige gibt – hier die Kinder – die geschult werden können, diese willentlich einzusetzen. “Ich spürte es wie ein Unwetter aufziehen.” Sagt ein Beamter des Justizministeriums. “Wir wussten, es würden neue Formen Profitkriminalität kommen. Die mit der Kontrolle des Bewusstseins zu tun haben.”

Damit ist die Handlung entfesselt. Es erscheint eine Fülle von Personal (freundlicherweise hat der Verlag, wie weiland bei Romanen von Tolstoi eine Liste beigefügt), Zeit- und Handlungsebenen springen, es wird verfolgt, geprügelt und geschossen aber auch gelauscht und gebetet. Niemand ist das, was er vordergründig zu sein scheint, jeder trägt auch das Gegenteil in sich. Nonnen sind Kampfkünstlerinnen, der kriminelle Strippenzieher hat hohes spirituelles Wissen, Kaspers große Liebe, die Wissenschaftlerin, hat zwei Jahre im Gefängnis gesessen, die Blaue Dame, Oberin eines orthodoxen Nonnenklosters trägt schwarze Seidenunterwäsche, die Kinder sind weiser als die Erwachsenen.

Das alles kann man ziemlich überfrachtet und verquarst finden, wenn man sich darauf einlässt, wird man aber gefesselt. Es kann einem allemal lieber sein, statt von sinistren Kirchenverschwörungen alias Sakrileg mit einer Weltsicht konfrontiert zu werden, deren innerstes eine starke Sehnsucht nach Ruhe, Frieden und Liebe ist. Und in der trotzdem die Fetzen fliegen.

Ruth Roebke, Autorenbuchhhandlung Marx, Frankfurt a.M.