Zum Buch:
So versucht Dimitrij Kapitelman dem Vater, der seit Jahren nur noch selten und widerwillig seine Wohnung verlässt, eine Reise ins gelobte Land schmackhaft zu machen:
„Papa, warst du eigentlich schon mal in Israel?“
„Nein.“
„Möchtest du denn nach Israel?“
„Ja, das wäre eigentlich gut.“
„Eigentlich gut?“
„Eigentlich gut.“
„Wieso wäre das eigentlich gut?“
„Ich habe da noch eine Briefmarkensammlung.“
Und da sich bei den zahlreichen nach Israel eingewanderten ukrainischen Freunden des Vaters angeblich auch noch ein „Teeservice mit Rubinen“ befindet, stimmt Leonid Kapitelman zur Verwunderung und Freude des Sohnes irgendwann zu, ins gelobte Land zu fliegen.
Dort angekommen, muss Dimitrij schnell feststellen, dass sich die Fragen nach Identität, Herkunft und der Möglichkeit, einen Ort zu finden, an dem man Wurzeln schlagen könnte, so schnell nicht klären lassen. Die alten Freunde des Vaters sind da keine große Hilfe. Sie leben froh und zufrieden in der Parallelwelt ukrainischer Einwanderer, die konsequent russisch reden, russisches Staatsfernsehen gucken, Netanjahus Politik unterstützen und sämtliche Vorurteile über Araber und Palästinenser verbreiten.
Je länger Vater und Sohn im Land sind, desto größer werden Dimitrijs innere Widersprüche. Wer ist er? Wer will er sein? Wo will er leben? Ist Israel das Land, in dem er innerlich ankommen kann? Da er keine jüdische Mutter hat, also nicht als Jude gilt, müsste er zum jüdischen Glauben übertreten, was ihm, der bei atheistischen Eltern aufgewachsen ist, nicht plausibel erscheint. Zumindest in dieser Frage schafft ein Besuch im Jewish Genealogy Center, auf der (vergeblichen) Suche nach dem Familienstammbaum der Kapitelmans Klarheit. Ein Mitarbeiter erklärt ihm, dass die Regelung, wonach die Mutter das relevante Elternteil im Judentum ist, ein „historisches Novum“ sei, das erst seit der Diaspora gelte – also „etwa um 70 nach Christus“. Somit könne er „sofort Bürger dieses Landes werden“. Und er bekommt ungebetene Unterstützung: Auf einem Markt kurz vor Sabbatbeginn fällt er einer Gruppe orthodoxer Juden in die Hände, die ihn zu einer „Quick-Mizwa“ überreden.
Während die Verwirrung in Dimitrij immer größer wird, taucht sein Vater langsam aus der Unsichtbarkeit auf. Seine Melancholie weicht, und plötzlich erzählt er von seinen Vorfahren, die alle Rabbiner waren, und äußert den Wunsch, an der Klagemauer zu beten. Dimitrij dagegen will auch die andere Seite des Landes kennenlernen und beschließt, in die Palästinensischen Autonomiegebiete zu fahren, gegen den Widerstand des Vaters …
Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters ist das erste Buch des freien Journalisten und Musikers Dimitrij Kapitelman. Der Tonfall ist schnodderig, aber auch nachdenklich, und die Verunsicherung des Autors ist darin ebenso zu spüren wie die tiefe Liebe zu seinem Vater. Ironie und zuweilen drastische Komik bewahren Szenen wie das erste Gebet des Vaters an der Klagemauer vor dem Abgleiten in Sentimentalität ohne sie an billigen Witz zu verraten. Es ist ein unglaublich komisches und zugleich herzzerreißend trauriges Buch, eine Liebeserklärung eines Sohnes an seinen Vater genauso wie eine scharfsinnige Auseinandersetzung mit dessen Widersprüchen, eine Rückkehr zu den Erfahrungen der eigenen Kindheit und die Suche nach einer Zukunft.
Ruth Roebke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt