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Elly

Autor
Wetzel, Maike

Elly

Untertitel
Roman
Beschreibung

Elly ist elf. Elly verschwindet an einem ganz normalen Tag, auf dem Weg zu ihrem Judotraining. Das letzte, was man von ihr weiß, ist, dass ihr auf einer Kreuzung ihre rote Trainingstasche vom Rad rutschte und sie anhalten musste, um die Tasche wieder festzuklemmen. Das konnten Passanten noch berichten. Danach nichts. Kein Anruf, keine Lösegeldforderung, kein heimlich gepackter Koffer, der Licht ins Dunkel der offenen Fragen bringen könnte. In ihrem eher kurzen, aber unglaublich dichten ersten Roman schreibt Maike Wetzel davon, was mit Hinterbliebenen passieren kann, wenn ein verschwundener Mensch stärker das Leben und den Alltag bestimmt als alle Anwesenden.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Schöffling Verlag, 2018
Seiten
152
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-89561-286-2
Preis
20,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Maike Wetzel lebt als Schriftstellerin und Drehbuchautorin in Berlin. Sie studierte an der Münchner Filmhochschule und in Großbritannien. Für ihr Romandebüt ‘Elly’ erhielt sie den Robert Gernhardt Preis und den Martha Saalfeld-Preis. Ihre Erzählungen wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet.

Zum Buch:

Elly ist elf. Elly verschwindet an einem ganz normalen Tag, auf dem Weg zu ihrem Judotraining. Das letzte, was man von ihr weiß, ist, dass ihr auf einer Kreuzung ihre rote Trainingstasche vom Rad rutschte und sie anhalten musste, um die Tasche wieder festzuklemmen. Das konnten Passanten noch berichten. Danach nichts. Kein Anruf, keine Lösegeldforderung, kein heimlich gepackter Koffer, der Licht ins Dunkel der offenen Fragen bringen könnte. Ihre Familie bleibt zurück, und jeder einzelne von ihnen, Mutter Judith, Vater Hamid und Schwester Ines, drohen im Vakuum dieses Verschwindens zu ersticken.

Die Ermittler machen ihre Arbeit, schließen wie immer nicht aus, dass auch die Eltern Täter sein könnten, und säen damit winzige, aber zermürbende Momente des Misstrauens zwischen den Eltern. Obwohl der Alltag in den kommenden Jahren in das Leben der Familie zurückkehrt, gibt es doch keine Alltäglichkeit mehr. Fragen, Schuldgefühle und Zweifel kehren immer wieder. Die Verpflichtung, Elly nicht dem Vergessen zu überantworten, ist stark und hat die Familie fest im Griff. Als dann endlich nach vier Jahren ein Anruf kommt, dass Elly lebt, gibt es für einen Moment die Hoffnung, alles könne irgendwie gut werden. Aber es gibt keine Erlösung, nicht für die Heimgekehrte, nicht für ihre Schwester, ihre Mutter, ihren Vater. Elly ist vom Erlebten so schwer traumatisiert, dass sie in den ersten Tagen kaum ansprechbar, ja orientierungslos ist, sich nicht berühren lässt. Viel älter wirkt dieses Mädchen, das zwar nicht gewachsen, aber durch alle Verletzungen kein Kind mehr ist. Zweifelnde Stimmen der Großmutter und einer Ärztin werden von Judith erstickt. Als Mutter kann sie sich doch nicht irren, sie kennt doch ihr Kind. Kennt sie ihr Kind? Oder ist sie doch zu betäubt von ihren kleinen „blassrosa Freunden“, wie sie die Tabletten nennt, die sie immer wieder nehmen muss, um dem Leben standzuhalten?

Die ungeschönte Ehrlichkeit der Gedanken schafft eine große Nähe zu den einzelnen Figuren. Ines hasst ihre Schwester, weil alle nur an sie denken, Judith versucht die Suizidgedanken, die sie quälen, in den Griff zu kriegen, und Hamid sucht seinen Platz und seine Aufgabe in dieser durch das Schicksal miteinander verschweißten Gruppe. Zu Beginn eines jeden Kapitels begeben wir uns in neue Gedankenwelten. Wir sind Schwester, Vater, Mutter, eine Zimmergenossin von Ines, und wir sind Elly. Durch diese wechselnden Ich-Perspektiven entzieht die Autorin auch auf formaler Ebene Sicherheit, unterstreicht die Haltlosigkeit der Situation und ihre Aussichtslosigkeit.

In ihrem recht kurzen und ausnehmend dichten ersten Roman schreibt Maike Wetzel davon, was mit Hinterbliebenen passieren kann, wenn ein verschwundener Mensch das Leben und den Alltag stärker bestimmt als die Anwesenden. Ähnlich wie in Johann Scheerers Wir sind dann wohl die Angehörigen beschreibt Wetzel in ihren klaren, schnörkellosen Sätzen nicht nur Trauer und Schmerz, sondern auch die oft vergeblichen Versuche, einen „angemessenen Umgang“ mit einem solchen Erlebnis zu finden, um am Ende weiterzuleben.

Larissa Siebicke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt