Zum Buch:
Einmal im Jahr feiert die kleine nordenglische Stadt Great Minden das Kirchweihfest mit einem großen Jahrmarkt. An diesem Tag steigt der Kriegsveteran und Bankangestellte Peplow aus dem Frühzug – allerdings gilt sein Besuch nicht dem Fest. Er ist auf der Suche nach dem Mann, der ein Jahr zuvor seinen zehnjährigen Sohn totgefahren hat und vor Gericht durch einen schlauen Anwalt und eigene Verschlagenheit ohne Verurteilung davongekommen ist. Nach einem quälenden Jahr, in dem sein Schmerz nicht geringer geworden ist, hat Peplow beschlossen, den sinnlosen Tod seines Kindes zu rächen.
Ein Tag im Sommer erzählt den Verlauf dieses Tages und bleibt dabei nicht nur auf Peplows Spuren. Geschickt verknüpft der Autor mehrere Personen und Handlungsstränge zu einem atmosphärisch dichten Netz. Um einige zu nennen: Peplows Kriegskamerad Herbert Ruskin, der beide Beine verloren hat und seine Tage damit verbringt, am Fenster jeden zu beobachten, der ihm vor die Linse seines Fernglases läuft. Die verbitterte Adela Prosser, Direktorin der Schule und Schrecken aller Lehrer und Schüler. Sidney Croser, Hilfslehrer und Weiberheld, Miss Prossers bevorzugtes Quälobjekt. Die Friseurin Effie, die bei ihrer Mutter lebt und in Croser verliebt ist. Nick Bellenger, ein 12jähriger Knabe, dessen Vater – auch ihn kennt Peplow aus dem Krieg – im Sterben liegt und dessen Zukunft, da die Mutter die Familie vor langem verlassen hat, ungewiss ist.
Nach und nach entfaltet sich das Panorama eines Ortes, der noch gut zehn Jahre später tief von dem psychischen und physischen Schrecken gezeichnet ist, den der Krieg unter den Bewohnern angerichtet hat. Die sind allerdings im seltensten Fall nur bedauernswerte Opfer der Verhältnisse. Fast alle versuchen sie, eine rechtschaffene Fassade aufrecht zu erhalten, unter der Grobheit, Neid, Missgunst, enttäuschte Hoffnungen und unterdrückte Begierden brodeln.
Man merkt dem Buch an, dass es vor über fünfzig Jahren entstanden ist – aber was dem Leser zuerst als altbacken und auch klischeehaft erscheinen mag, gibt einen unmittelbaren Einblick in eine Zeit, die heute erstaunlich fern erscheint und in der existenzielle Fragen nach der Sinnhaftigkeit des Daseins, nach Schuld und Vergebung drängender als heute waren.
Dieses erste Buch von J. L. Carr hat nicht den ironischen, doppelbödigen Charme seines späteren Romans Ein Monat auf dem Land. Es ist härter, direkter und bissiger, dabei aber durchaus humorvoll und komisch. Und Peplow findet am Ende des Tages, wonach er gesucht hat – wenn auch auf ganz andere Weise, als er dachte.
Ruth Roebke, Bochum