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Kraft

Autor
Lüscher, Jonas

Kraft

Untertitel
Roman
Beschreibung

Auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2017

Da hat es einer ganz weit nach oben geschafft, zumindest in der akademischen Welt, ist als Nachfolger von Walter Jens auf die Rhetorik-Professur an der Alma mater in Tübingen berufen worden, wird auf Tagungen nach Kanada eingeladen und soll jetzt an der berühmten Hoover Institution der noch berühmteren Stanford University in Amerika im Rahmen eines Wettbewerbs eine Rede verfassen, wonach sich jeder Rhetoriker die Finger lecken würde: Theodicy and Technodicy: Optimism for a Young Millenium. Why whatever is, is right and why we still can improve it?

Eine Fingerübung müsste das sein. Richard Kraft aber scheitert. Seinem doppelt die Kraft und Macht anrufendem Namen zum Trotz scheitert er auf ganzer Linie.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Verlag C.H. Beck, 2017
Seiten
237
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-406-70531-1
Preis
19,95 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Jonas Lüscher, geboren 1976 in der Schweiz, wuchs in Bern auf, wo er 1994 – 1998 am Evangelischen Lehrerseminar Muristalden zum Primarlehrer ausgebildet wurde. Nach einigen Jahren als Stoffentwickler und Dramaturg in der Münchner Filmwirtschaft studierte er an der Hochschule für Philosophie München (2005 bis 2009). Nebenbei arbeitete Lüscher als freiberuflicher Lektor.

Lüscher lebt seit 2001 in Münch

Zum Buch:

Da hat es einer ganz weit nach oben geschafft, zumindest in der akademischen Welt, ist als Nachfolger von Walter Jens auf die Rhetorik-Professur an der Alma mater in Tübingen berufen worden, wird auf Tagungen nach Kanada eingeladen und soll jetzt an der berühmten Hoover Institution der noch berühmteren Stanford University in Amerika im Rahmen eines Wettbewerbs eine Rede verfassen, wonach sich jeder Rhetoriker die Finger lecken würde: Theodicy and Technodicy: Optimism for a Young Millenium. Why whatever is, is right and why we still can improve it?

Eine Fingerübung müsste das sein. Richard Kraft aber scheitert. Seinem doppelt die Kraft und Macht anrufendem Namen zum Trotz scheitert er auf ganzer Linie, endgültig – das Schlussbild des Romans von Jonas Lüscher ist dabei ähnlich grell und expressionistisch anmutend wie das Schlussbild des Romans eines anderen Schweizer Autors, der erst kürzlich erschien, Christian Krachts Die Toten.

Während Kracht sich am Ende der Weimarer Republik in die Filmwelt stürzt, in eine Zeit, in der der Stummfilm gerade zum Tonfilm wird, und sein Personal nach Japan reisen lässt, begibt sich Lüscher mit Kraft in die jüngere Geschichte der Bundesrepublik, beobachtet, wie sein Antiheld Ronald Reagen in Berlin zujubelt, aus Freude an der Provokation seiner Kommilitonen den Thatcherismus und die Aufrüstung wortgewandt verteidigt, beseelt dem Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt im Bundestag beiwohnt, den Fall der Mauer auf dem Brandenburger Tor bejubelt und schließlich ans andere Ende der Welt nach Amerika ins Silicon Valley reist.

Zwischen Apple und Google, Facebook und Hewlett Packard hat es Tobias Erkner, der Auslober des Wettbewerbs und der Verfasser der Preisfrage, als Unternehmer zu Millionen gebracht, mit denen er eine neue Welt erschaffen möchte, die in so manchem an die Ideen des Neuen Bauens der 1920er Jahre erinnert. Mit dem Ingenieur als Leitfigur ploppen Erkners Thesen durch den Raum, die Richard Kraft gar nicht so fremd sind – und ihn doch auf einmal unendlich anwidern. Selbstregulierung der Marktkräfte, Eigenverantwortung und Utilitarismus dienen dazu, „die ökonomische Ungleichheit in den Rang eines Naturgesetzes“ zu erheben. Dass sich Erkner in Widersprüche verheddert, fällt Kraft zwar auf, aber das machtvolle Spiel mit Worten ist ihm als Rhetoriker ebenso vertraut wie der schlagende Beweis für die Richtigkeit der Ideen: Erkners ökonomischer Erfolg.

Wo da die Wahrheit bleibt, die ernsthafte Beschäftigung mit der philosophischen Frage, die geschichtlichen Erkenntnisse und kulturellen Errungenschaften? „Wer weiß das schon so genau zu sagen. So einfach ist das nicht“ – und diese Fragen scheinen ja auch mitten im Silicon Valley von so haarsträubender Irrelevanz und Vorgestrigkeit, dass der Untergang dieses in bester pikaresker Manier durchs Leben stolpernden Kraft vorgezeichnet ist. Da meint er doch tatsächlich, dieser Aufgabe mit einem „europäischen Ton“ begegnen zu können. Aber den hat er längst verraten: seit seiner Studentenzeit kokettiert er damit, bis es nur noch ein „Tanz von Kraft um eine Mitte“ ist, „in der betäubt ein großer Wille steht“ – so zumindest würde sich das bei Rilke anhören.

Wie sich hier Fakten und Fiktionen zu mischen beginnen, hat manchen Kritiker von Jonas Lüschers Roman an die aktuelle Krise in Amerika denken lassen. Mindestens ebenso spannend aber ist es, über das Schlussbild des Romans nachzudenken, wenn sich diese postmodern zynische Haltung den Strick um den Hals legt und zugleich mit dem Smartphone filmt. Sie hat nur zwei Follower.

Ines Lauffer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt